Miriam Deforth auf dem Kyffhäuser-Denkmal
Abend am Stausee Kelbra mit tausenden Kranichen
Der mystische und farbenfrohe Herbst
Miriam Deforth in der Barbarossahöhle auf seinem Thron
TV-Moderatorin und Kommunikationstrainerin Miriam Deforth ist seit Anfang 2018 Naturpark Kyffhäuser Botschafterin. In ihrem „Miris Kyffhäuser-Blog“ berichtet sie jeden Monat von ihren Erlebnissen und Abenteuern im Naturpark.
Miri's Kyffhäuser Blog wird unterstützt von hessnatur. Vielen Dank!
31. Oktober 2019
Kennen Sie das? Es gab vielleicht in Ihrem Leben schon einmal diese Situation, in der Sie am liebsten einen Koffer gepackt hätten und alles zurückgelassen hätten. Die nervenden Kollegen, die Krise in der Partnerschaft, die pubertierenden Kinder oder die finanziell mal wieder mehr als brenzlige Situation. Oder vielleicht sogar nicht nur eins davon – sondern gleich mehrere.
Und obwohl Sie wussten, dass es im Grunde Blödsinn sein würde, waren Wut oder Enttäuschung, ein verursachter Schmerz oder tiefsitzender Frust so groß, dass scheinbar alles besser gewesen wäre, als dort zu bleiben, wo Sie sind.
Ich hatte so eine Situation vor Kurzem.
Ja, Sie sehen, ich schreibe Ihnen sehr offen und auch in meinem Leben ist bisher nicht immer alles Sonnenschein gewesen. Dabei bin ich doch Mentaltrainerin, Kommunikationsprofi und habe bereits ein Vermögen in meine geistige Stabilität investiert. Alleine aufgrund der Geldsummen, die das eine oder andere Seminar in meinem Fachgebiet kostet, dürfte theoretisch in meiner Gemütslage nix mehr wackeln und wanken. Ich habe zu jederzeit passende, gehirnrelevante Werkzeuge in meiner geistigen Handtasche und kann mir aus jeder noch so verzwickten Lage entspannt heraus helfen. Meistens sogar recht witzig.
Und manchmal… klappte das bisher noch nicht immer so auf Anhieb, wie ich es gerne schon gehabt hätte.
Vor einigen Tagen war ich zu einer großen Konferenz in London als Trainerin eingeladen. Ein Highlight. Erstens: London. Zweitens: Mein Lieblingsfachgebiet. Schon im Frühling hatte ich ein wunderschönes Hotel im viktorianischen Stil gefunden und gebucht und mich auf das Wiedersehen mit vielen internationalen Kollegen gefreut. Mein Lebensgefährte und Geschäftspartner war mit mir nach London geflogen und ich war so voller Vorfreude, uns trotz des geschäftigen Kongresses so ein romantisches Hotel ausgewählt zu haben.
In Heathrow gelandet, machten wir uns standesgemäß in einem Black Cab auf zum Hotel, um das historische Flair zu genießen. Und um uns auf den nächsten Tag einzustimmen.
Und da passierte es: Aufgrund von irgendeiner Krise in der Tourismusbranche war das Zimmer, das ich gebucht hatte, bereits vor Wochen im Hotel seitens des Anbieters in Deutschland storniert worden. Die entsprechende E-Mail war in meinem Spam Ordner gelandet und ich hatte nichts davon erfahren. Verzweifelt fand ich alle Buchungsbestätigungen und Abrechnungen in meinem E-Mail Postfach, legte alles in der Rezeption vor – die Dame am Empfang konnte sich nur entschuldigen und mir mitteilen, dass das Hotel ausgebucht sei und sie mir kein alternatives Zimmer anbieten könne.
Im Londoner Stadtteil, in dem die Konferenz stattfand, waren alle namhaften Hotels pickepackevoll. Meine Anfragen über die gängigen Hotelportale, Apps und Services blieben zunächst erfolglos.
Ich begann an meinem Schicksal, meinen Fähigkeiten, Businessreisen zu buchen und meinem Verstand zu zweifeln. Hier stand ich in London ohne Bett und ohne englisches Frühstück, ohne Heim und ohne englischen Humor und merkte, dass ich mich von eben auf jetzt seeeehr erschöpft fühlte. Mein Lebensgefährte reagierte supergelassen und meinte, dass wir vermutlich jetzt sogar ein noch schöneres Hotel finden würden. Und wissen Sie was? Das machte meine Gefühle nicht besser!
Ich reise beruflich sehr viel. Meistens habe ich zu Hause kurz Zeit, um eine Maschine Wäsche zu waschen und dann meinen Koffer wieder zu packen. Ja, ich liebe dieses Vagabundenleben. Schon immer. Und dann am Meisten, wenn verflixt und zugenäht alles glatt läuft.
Mir war seit langer Zeit mal wieder so richtig zum Heulen. Um genau zu sein, versank ich in Selbstmitleid und ich spürte den vertrauten Impuls, mir schnell selbst einen Witz zu erzählen, um wenigstens kurz zu schmunzeln, kein bisschen. Am allerliebsten wäre ich mit dem Black Cab zurück zum Flughafen gegondelt und hätte mich zu Hause, nahe der niederländischen Grenze, in einem Erdloch verbuddelt. In meinem Gehirn waren Gedanken wie: „Alles geht schief. Ich habe so ein Pech nicht verdient.“
Von außen betrachtet, und da haben Sie vollkommen recht, ging es hier weder um Leben und Tod, noch um einen Weltuntergang. Leider fühlte sich „mein Versagen“ genau so an. Und da ich wie ein grumpfiger Hase vor mich hin motzte und auch kein Hotel mehr finden wollte, übernahm mein Partner dann die Finde eines Zimmers.
Natürlich fand er eines.
In einem Kongresshotel. Völlig austauschbar. So, wie in jeder Stadt. Bitte verstehen Sie mich richtig. Ich möchte nicht undankbar erscheinen. UND DIE WAHRHEIT WAR: GENAU SO FÜHLTE ICH MICH. UNDANKBAR. VOLLE MÖHRE.
Ich hatte mich so auf diese Reise und das historische, englische Hotel gefreut. Und nun? Amorphe Hotelkette mit null Flair, eben ein Zimmer zum Schlafen. Bäm.
Um nicht noch mehr Schaden anzurichten, in mir und in der Situation, die ich gerade hervorgerufen hatte, entschied ich mich dafür, die 1,8 km zum Hotel zu Fuß zu gehen. Und meinen Partner mit dem Gepäck in einem Taxi alleine zu lassen. Wirklich. Normalerweise gehe ich ungern spazieren. Hier war es eine Schadensbegrenzungsmaßnahme. Wenn ich schon nicht an der niederländischen Grenze ein Buddelloch bekommen würde, dann wenigstens anderswie „raus“. Wutschnaubend und vor mich hin schimpfend stampfte ich durch den kleinen Park mitten in London.
Und dann passierte es. Eben gerade hatte ich noch auf der stressbefüllten Hauptstraße des Quartiers in London gestanden, in dem wir schnöde von einer Rezeptionistin abgewiesen worden waren.
Dann ging ich durch diese Pforte in den Park und plötzlich… war es still. Also, so still, wie es in einem Londoner Stadtpark sein kann, und eben irgendwie vergleichsweise still.
Und wie es so da draußen stiller wurde, wurde es auch in meinem Kopf stiller. Verrückt. Ich hatte das Gefühl, gar nichts dazu beizutragen. Es passierte einfach. Natürlich hörte ich nicht von eben auf gleich auf, mich schlecht zu fühlen. Es war eher so etwas wie ein … sickern. Als würde dieser Park, der der Unruhe und dem Treiben in der Innenstadt von London einfach mit seiner immergrünen Ruhe standhielt, alles, was sich in ihm befand, assimilieren. In sich aufnehmen. Und in dieses stabile Innerste einer natürlichen Oase hüllen.
Ich wehrte mich noch einige Augenblicke lang und erinnerte mich kampflustig an meinen Frust über das Hotel, in dem wir jetzt übernachten würden. Und je mehr ich innerlich aufbegehrte, desto ruhiger wurde der Park. Denn ich stampfte ja immer weiter weg von den lauten Straßen der Innenstadt, den Doppeldeckerbussen und den aufgeregt vor sich hin lebenden Menschen. Immer weiter hinein in diesen zauberhaften, Londoner Grünstreifen. Unbedeutend, vermutlich. Und so verwunschen in diesem Moment.
Ich schwöre es Ihnen. Ich WOLLTE mich wirklich noch weiter ärgern. Und ich bekam es irgendwie nicht mehr so richtig hin. Und zu aller Harmonie dieses beinahe kitschig angelegten Parks mit sich windenden, sanften Spazierwegen und dem Gesamtantlitz eines Mary-Poppins-Romans hockte auf einer der Parkbänke einige Meter weiter auch noch ein Straßenmusikant. Ich weiß, das klingt wie Kitsch aus der Dose und es war wirklich so. Beinahe hätte ich gelacht, weil mein „Schicksal“ offenbar viel mehr englischen Humor besaß, als ich.
Der junge Mann spielte auf einer Gitarre und sang Beatles Lieder. Also, ein Beatles Lied, als ich gerade längs stampfte. Und ich stampfte auch in Wahrheit schon gar nicht mehr.
„Blackbird singing in the dead of night
Take these sunken eyes and learn to see
All your life
You were only waiting for this moment to be free”
Kennen Sie den Song? Ich finde ihn wunderschön. Er ist so einfach und so wehmütig und so befreiend und so zart und so stark. Und dann stand ich einfach nur da und lauschte und atmete und war in London. Und scheißegal in welchem Hotel.
Und dann hörte ich mir das Lied zu Ende an, warf ein paar englische Pfund in den Hut des Straßenmusikers und ging meines Weges. Zu meinem wundervollen Mann. Und zum Kongress. Und ich dachte mir: Wer weiß, wozu es gut ist, dass wir in einem Business-Hotel gelandet sind. Ich finde es schon noch heraus.
Ich weiß übrigens, dass aus neurobiologischer Sicht ein Ablenkungsmanöver in Stress-Situationen sehr gut helfen kann.
Gehen Sie „raus“ aus der Situation. Nein, Sie brauchen nicht gleich Ihre Koffer zu packen und ein Frustloch an der holländischen Grenze auszuheben. Vielleicht genügt schon ein Wechsel in ein anderes Zimmer in dem Gebäude, in dem Sie gerade sind. Ein Blick aus einem anderen Fenster. Ein kurzes Hinaustreten auf einen Balkon oder eine kleine Runde durch das Viertel, in dem Ihr Haus oder Ihre Wohnung liegen.
Denn vielleicht kennen Sie ja auch geflügelte Sätze wie: „Ich hatte mich da total hineinverkrampft.“ Na, dann ist doch der Fluchtgedanke genau richtig! Hinaus aus der Verkrampfung, hinein in die Entspannung. Und „hinaus“ – das ist ja ein räumlicher Begriff. Wenn wir mal „irgendwo festgesteckt hätten“, ist es ja auch sinnvoll, und das zeigt die Sprache, die wir hier verwenden ja ganz klar an, wenn wir uns aus dem Feststecken hinausbewegen.
Dies kann ein kurzer oder auch längerer Spaziergang sein. Oft hilft Menschen der Sicht-, Hör- und Fühlkontakt zur Natur. Da dies der Blogpost für den Kyffhäuser ist, nutze ich diese Stelle, um Ihnen die Qualitäten der Beruhigung, der Entspannung und der natürlichen Besänftigung dieses Naturparks aus sachdienlicher Hinweisverpflichtung deutlich ans Herz zu legen. Und sollten Sie gerade keinen Kyffhäuser vor der Nase haben (was wirklich bedauerlich ist), dann nehmen Sie eben en Wald oder den Park, der Ihnen gerade am nächsten steht.
Selbst in einem Meeting oder einer Gesprächsrunde kann es für ein besseres und wieder entspannteres Gefühl sehr nützlich sein, wen Sie sich bewusst auch körperlich kurz aus der Position herausnehmen, in der Sie bis eben waren. Wenn Sie auf einem Stuhl nach vorne geneigt saßen, lehnen Sie sich zurück. Saßen Sie weit nach hinten gelehnt, bewegen Sie ihren Oberkörper deutlich nach vorne. Befinden Sie sich im Gespräch in einer stehenden Position, gehen Sie einen kleinen Schritt zur Seite, nach vorne oder nach hinten. Meist bemerken Ihre Gesprächspartner diesen „Move“ nicht einmal. Und Sie werden merken: Der minimale Ortswechsel bringt unserem Gehirn auch einen kleinen „Abstand“ oder einen heilsamen Perspektivenwechsel.
Dieser „körperliche Fluchtpunktwechsel“ hilft übrigens auch beim Lösen eines verzwickten Problems oder eines Rätsels, oder beim Erinnern an eine Information, die im Augenblick noch „vergessen“ schien.
Mein Aufbruch, raus aus dem „Hotelproblemumfeld“ in eine andere Umgebung hat mir dieses Wissen auf sehr sanfte und schöne Weise wieder ins Gedächtnis gerufen. Instinktiv hat mein Gehirn genau das richtige entschieden. Gut – die niederländische Grenze hätte sicher auch funktioniert, und noch viel besser, dass ich in London geblieben bin. So eine schöne Stadt.
Machen Sie gerne, bewusst oder unbewusst, Ihre eigenen Erfahrungen mit diesem „inneren Ortswechsel“. Er ist sehr einfach. Und sehr effektiv.
Beste Grüße – mittelweile wieder tiefenentspannt aus dem Rheinland.
Ihre Miriam Deforth